Aufbruch aus „des Hauses Haft“
„Der lange genug mit viel Bedacht des Hauses Haft ertragen…“ Mit den Anfangszeilen eines bekannten Pfadfinderliedes stimmte Philipp Ramünke, Kurator der neuen Sonderausstellung im Museumsdorf Hösseringen, auf deren Inhalte ein: Um „Jugend in Bewegung“ geht es in der am Sonntag eröffneten gleichnamigen Schau im Obergeschoss der Ausstellungshalle des Museumsdorfes. Die Geschichte der Pfadfinder wird ebenso vorgestellt wie die Wandervögel und die Bündische Jugend – Themen, die Ramünke, der seinen Pfadfinder-Wurzeln selbst immer treu geblieben ist und zur Ausstellungseröffnung in entsprechender Uniform erschien, am Herzen liegen. „Nach einem langen Winter endlich wieder auf Fahrt zu gehen – wie solch ein Brückenschlag fühlt sich diese Ausstellung für mich an“, so Ramünke, der seine Zuhörenden mitnahm auf eine Reise durch die Geschichte der Jugendbewegungen, die in Wilhelminischer Zeit begannen als ein Aufbegehren gegen die Enge und Unfreiheit gesellschaftlicher Konventionen. Versinnbildlicht wird dies von einer „Wandervogel-Dame“, die die Ausstellungsbesucher Korsett-befreit und mit Rucksack und Gitarre begrüßt. Denn auch mittels ihrer Kleidung machten die jungen Menschen damals ihre Kritik an überkommenen gesellschaftlichen Strukturen deutlich. „Die kurze Hose rief einen Aufschrei hervor. Sie wurde aus Protest getragen“, so Ramünke, der es sich nicht nehmen ließ, an diesem Tag selbst entsprechend „behost“ zu erscheinen. Neben der jungen Dame fand ein junger Mann der Bündischen Jugend in Kleidung von 1920 seinen Platz. Der Dritte im Bunde ist ein englischer „Boy scout“, dessen Uniform noch heute exakt der bereits 1907, zur Zeit der Gründung der Pfadfinder in England, üblichen Kleidung entspricht. Der „Boy“ hatte die Museumsleute bis zuletzt in Atem gehalten, denn seine Uniform war erst einen Tag vor Ausstellungseröffnung in Hösseringen angekommen.
„Die erste Gruppe der Wandervögel gründete sich in unserer Region im Jahr 1907. Man wollte sich von den engen Vorgaben des schulischen und gesellschaftlichen Umfeldes lösen und fand die Antwort in der freien Natur“, stimmte Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm in die Ausstellung ein. Im verschiedenen Ausstellungsblöcken werden unterschiedliche Themen vorgestellt. So die Rolle der Frauen und Mädchen in den Bünden. „Frauen mussten ihre Rolle hart erkämpfen sie durften zunächst nicht dabei sein“, so Ramünke. Die konzeptionelle Einordnung der Jugendbewegungen wird im Abschnitt „Meißner Treffen“ thematisiert. Ein weiterer Themenblock ist die Gleichschaltung in der Hitlerjugend während der Zeit des Nationalsozialismus. Vom Wandervogelhof Reinstorf hat das Museumsteam das „Nestbuch“ eine Art Tagebuch aus dieser Zeit, erhalten. Darin sind unter anderem Presseartikel bis zum Zeitpunkt der Übernahme durch die Hitlerjugend enthalten. Der Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg und die Rolle der Musik sind weitere Themen. Mittels eines Zeltes und einer Jurte werden „Fahrt und Lager“ vorgestellt.
Der Verfassungsschutz Niedersachsen lieferte die Inhalte für den Abschnitt „Völkische Jugend“. Auch Gruppen, welche noch heute nationalsozialistisches Gedankengut vertreten, sehen sich in der Tradition der Bündischen Jugend der Weimarer Republik. Hier gilt es, klare Abgrenzungen aufzuzeigen.
Für Philipp Ramünke stellte sich im Zuge der Ausstellungsvorbereitung auch die Frage, ob die Themen der Jugendbewegungen im digitalen Zeitalter überhaupt noch relevant sind. „Ja, das Interesse an echtem Naturerleben ist nach wie vor ungebrochen“, ist er sich sicher. Da können ihm die Mitglieder des Pfadfinderstammes „Silberkranich“ nur zustimmen. „Wir haben jede Woche ein Gruppentreffen. Dann lernen wir in Spielen, Bäume zu erkennen und Tierspuren zuzuordnen“, erzählt Karl Hähnel aus Römstedt. Der Zehnjährige ist seit einem Jahr dabei, ebenso wie Feline Lantman aus Bad Bevensen, die von ihrer jüngeren Schwester für die Pfadfinder begeistert wurde. „Auf den Fahrten erleben wir ein tolles Beisammensein. Jeder wird nett behandelt. Ich habe schon viele Freunde in ganz Deutschland gefunden“, erzählt sie. Als Team fungieren, einander achten und gut miteinander umgehen, Gemeinschaft erleben – so fasst Gruppenleiter Gustav Imig den Kern des Pfadfindertums von heute kurz und knapp zusammen.
Christine Kohnke-Löbert