Heidekitsch und Familiengeheimnisse
Lila leuchtet das Heidekraut, bekränzt von Wacholder- und anderen Büschen, eine Birke zittert leise im Wind und geradeaus verläuft schnurgerade ein weißer Sandweg durch die weite Heidefläche. Ob es sich hierbei um einen Blick in die Ellerndorfer Wacholderheide oder eine ganz andere Heidefläche handelt, muss allerdings unbeantwortet bleiben, denn das romantische Motiv ist auf einem Ölbild festgehalten, welches den Standort des Malers nicht erkennen lässt. Das großformatige Gemälde haben Sylvia Beiser und Michael Jungblut aus Uelzen ins Museumsdorf Hösseringen mitgebracht, wo der Kunstsachverständige Klaus-Dieter Müller am gestrigen Sonntag den zweiten diesjährigen „Schätztag“ begleitete. So richtig viel kann der Experte zu dem Bild auch nicht sagen, er schätzt aber, dass es das Werk eines talentierten Laien ist und entweder zwischen den beiden Weltkriegen oder nicht lange nach 1945 entstanden sein könnte. „Kunst entsteht im Auge des Betrachters“, meint er diplomatisch – und dass mit dem Bild eher nicht das ganz große Geld zu verdienen sei. „Na ja, dann wird der Ferrari wieder abbestellt“, ist Michael Jungbluts launige Antwort – denn wie die meisten Teilnehmer des Schätztages erhofft er sich vom Sachverständigen neben der finanziellen Einschätzung insbesondere nähere Informationen zu seinem Objekt.
Das gilt auch für Birgit V., die aus Salzwedel angereist ist und eine alte Taschenuhr ihres Vaters mitgebracht hat. „Ein sehr gutes Schweizer Werk mit Kalender und Mondphase“ bestätigt ihr der Sachverständige und mit einer Entstehungszeit um 1880 ist die Uhr deutlich älter, als Birgit V. gedacht hatte. Nur der Hersteller ist nicht zu ergründen und das macht die Einschätzung wiederum schwierig. „Ein Vorfahr meiner Familie konnte sich als Bäckermeister vielleicht eine solche Uhr leisten“, sinniert sie, „und die kleine Armbanduhr dazu gehörte vielleicht seiner Ehefrau“. Dies aber muss vorerst Spekulation bleiben, auch wenn auch die Armbanduhr interessante Details preisgibt. Aus einer Taschenuhr umgearbeitet ist sie „viel zu kleine und zu hübsch“ für eine Herrenuhr. Spannend wird es, als Klaus-Dieter Müller den Deckel öffnet, denn das hat vorher keiner aus der Familie gewagt. Das noch ganz frisch wirkende Bild einer jungen Frau kommt zum Vorschein – und damit ein neuer Ansatz, um in der Familiengeschichte zu stöbern. „Ich möchte für meine Nachfahren gerne festhalten, was es mit diesen Stücken auf sich hat.“ Birgit V. ist froh über die detaillierten Auskünfte des Sachverständigen – und hat nun sogar einen Anlass für eine Reise in die Hauptstadt. Denn ihre kleine Silbergabel, die wie auch immer aus dem Besitz der adeligen Cäcilie von der K. in die Hände ihrer Familie gelangte, trägt den Herstellerstempel des Hofgoldschmiedes Johann George Hossauer aus Berlin, dessen Grabstein dasselbe florale Motiv ziert wie ihre Gabel. „Da müssen wir hin“, meint sie.
Noch etliche Stücke sind an diesem Tage zu begutachten und alle haben ihre ganz eigene Geschichte, von deren Geheimnissen Klaus-Dieter Müller so manches lüften kann.
Christine Kohnke-Löbert
Schätztag