Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute
„Ich mag Märchen sehr.“ Gerne lässt sich Pia ihre Lieblingsmärchen von Oma und Opa vorlesen. Diesmal aber ist alles ein wenig anders, denn statt der Großeltern werden die Märchen von Petra Kallen aus Molden im Wendland erzählt. Und die Sechsjährige sitzt auch nicht gemütlich auf dem Sofa, sondern ist im Museumsdorf Hösseringen unterwegs. Es ist zum Märchenspaziergang eingeladen und rund 20 Teilnehmer haben sich auf den Weg durch das Landwirtschaftsmuseum gemacht, wo ihnen an verschiedenen Standorten Märchen der Gebrüder Grimm erzählt werden. „Man muss ein Märchen immer zu Ende lesen, denn auch wenn es in der Mitte schon einmal dramatisch zugehen kann, so findet doch alles immer ein gutes Ende. Und ein gerechtes“, finden Oma und Opa Koch, die sich ganz spontan zur Teilnahme entschlossen haben. Und obwohl sie seit Jahren immer wieder in ihrem dicken Buch stöbern, sind ihnen nicht alle Märchen bekannt, die an diesem Wochenende zu hören sind.
Denn Petra Kallen hat aus dem großen Schatz der Gebrüder Grimm diesmal eher unbekannte Märchen ausgewählt. Da geht es um den Dummling, der zum Schluss die schönste Frau und das ganze Königreich noch dazu bekommt. Und um die Bienenkönigin oder auch die Kröte und die Schwäne. Selbstverständlich durften auch Prinzessinnen und die Hexe nicht fehlen. Neu für viele Zuhörer war vermutlich das Motiv der Flammenburg und des abenteuerlustigen Stieres, der mit seinem Herrn die Königstochter aus den Fängen des Drachen befreit. Kein Wunder – dieses Märchen stammt aus Siebenbürgen.
Immer wieder aber taucht das Motiv der drei Brüder auf, deren Jüngster meist als der Dümmste gilt und der dann doch der Klügste ist. „Oft werden in den Märchen Eigenschaften skizziert, die einen guten Menschen ausmachen – und wer entsprechend handelt, wird am Ende reich belohnt“, weiß Petra Kallen. „Die Menschen haben in ihren Märchen eben nicht nur Geschichten überliefert, sondern auch Wert und Normen tradiert, die Jahrhunderte lang Grundlagen für das Zusammenleben in der Gesellschaft waren.“ Und auch wenn oftmals schwierige Lebensumstände thematisiert werden, so steckt doch jedes Märchen voller Hoffnung.
Petra Kallen erzählt schon seit mehr als 20 Jahren Märchen der Gebrüder Grimm, die sie frei rezitiert und mit Empathie und Sicherheit vorträgt, gerne an besonderen Orten wie dem Museumsdorf. Ausgehend vom Göpelschuppen wurde an fünf Stationen für einen märchenhaften Exkurs Halt gemacht. Der Märchenspaziergang war Teil der Märchenwoche im Museumsdorf Hösseringen, die kürzlich mit Spielen, Aktionen und Theater zu Ende ging.
Christine Kohnke-Löbert
Märchenspaziergang