Bunt, vielfältig und weltoffen
Eine Tracht kann eine Menge aussagen. Nicht nur über den gesellschaftlichen, sondern auch über den aktuellen Beziehungsstatus. Oder den künftigen. „Eine Frau jenseits der Silberhochzeit oder eine Witwe, die aber nicht mehr heiraten möchte, trug an ihrem Rock eine blaue Borte, passend dazu waren auch Tuch und Accessoires blau gefärbt. War sie einer neuen Beziehung nicht abgeneigt, dann wurde eine lila Borte getragen“, erläutert Dorit Stehr, die in einer farbenfrohen Sonntagstracht des Schaumburger Landes über den Brümmerhof schlendert. Und man denkt sich, dass das mit den Farben eigentlich eine gute Sache ist. Auf jeden Fall können auf diese Weise Missverständnisse reduziert werden.
Die Festtagstracht von Dorit Stehr ist mehr als 120 Jahre alt und die Oldendorferin hat sie anlässlich des niedersächsischen „Tages der Tracht“ aus dem Kleinderschrank geholt. Dieser fand in diesem Jahr im Museumsdorf Hösseringen statt, Anlass war die Eröffnung der neuen Sonderausstellung „Feiner Zwirn fürs Land. Tracht und Textilhandel in der Lüneburger Heide“, die das Museumsdorf Hösseringen in Kooperation mit dem Landestrachtenverband erarbeitet hat. „Eigentlich sollte dieser Tag bereits 2020 stattfinden“, sagte der Vorsitzende des Museumsvereins, Jörg Hillmer, in seiner Begrüßungsrede. Tatsächlich habe das Museumsdorf nur wenige Trachten im eigenen Bestand, umso mehr freue er sich über den reichen Schatz, der dank vielfältiger Leihgaben in der Ausstellung präsentiert werden kann. „Trachten sind ein wichtiger und greifbarer Aspekt unserer Kulturgeschichte und sie sind erlebbare Geschichte“, fügte sein Landtagskollege aus Lüchow-Dannenberg, Uwe Dorendorf, hinzu. „Trachten und Tanz verbinden Menschen, Regionen und Kulturen, früher so wie heute“, so Dorendorf. Genau dies hätte man auch zum Tenor des „Tages der Tracht“ machen können. Bunt und fröhlich kamen die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter der regionalen Trachtengruppen und -vereine daher. Ob aus dem Schaumburger Land oder dem Wendland, der Braunschweiger Gegend oder Serbien oder sogar aus dem Irak – an diesem Sonntag wurde ein vermeintlich nationales Thema in Hösseringen zum verbindenden Element der Kulturen. „Tracht ist bunt, vielfältig und weltoffen“, betonte die 1. Vorsitzende des Landestrachtenverbandes Niedersachsen, Manuela Kretzschmer. „Eine halbe Million Menschen bundesweit tragen Tracht, in Niedersachsen sind es 7000.“ Von denen waren gefühlt die Hälfte am Sonntag in Hösseringen. Na gut, insgesamt waren etwa 560 Gäste gekommen, aber Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm freute sich trotzdem sehr, „dass endlich wieder eine große Veranstaltung möglich ist“.
Ein Höhepunkt des Tages war die Vorstellung der „Tracht des Jahres 2020“, der Scheeßeler Tracht, zu der natürlich wiederum die vielfältigsten Varianten gehören. Diese wurden – von der Brautjungfer- über die Konfirmations- bis hin zur Arbeitstracht – von den „Beekscheepers“ und der „Original Scheeßeler Trachtengruppe“ präsentiert. Eine Tracht aus dem Irak hatte der Verein „Jesidische Trachten“ aus Oldenburg, der erste „migrantische Trachtenverein“, mitgebracht und eine Gruppe der Serbisch-Orthodoxen Kirche Hannover zeigte farbenfrohe Trachten aus Serbien. Und auch eine Gruppe Biker war mit ihrer ganz eigenen „Tracht“ vor Ort.
Die Trachten-Ausstellung im Museumsdorf ist noch bis zum Saisonschluss 2022 zu sehen. Sie ist in verschiedene Themengruppen gegliedert, Kurator ist Michael Kablitz aus Jameln.
Christine Kohnke-Löbert
Tag der Tracht