Verliebt in den Feierabend
Dass sich der Dachdecker Johannes Düver aus Uelzen im Juni 1898 verlobt hat, wäre heute längst vergessen – wenn der junge Mann dieses Ereignis nicht festgehalten hätte. Und zwar auf einem besonders haltbaren Material: Verliebt wie er war, ritzte er die frohe Botschaft in einen ungebrannten Dachziegel. Nach dem Brand wurde der Ziegel ganz normal für eine Dachdeckung im Raum Uelzen verarbeitet. Er überdauerte die Zeit und kam zunächst ins Museum Lüneburg und von dort aus im Jahre 2004 als Dauerleihgabe ins Museumsdorf Hösseringen. Hier wurde er nun weiter untersucht. „Es handelt sich um einen sogenannten ‚Feierabendziegel‘“, erläutert Dr. Björn Thomann, stellvertretender Leiter des Museumsdorfes. „Solche Ziegel wurden vor dem Brennvorgang mit Inschriften, Zeichnungen und Symbolen versehen und gelten als wichtige Zeugnisse der Volkskunst.“ Nachweisbar sind derartige Ziegel bis zur Einführung der industriellen Ziegelherstellung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre schwere Arbeit ließ den Zieglern nur wenig Zeit für dekorative Verzierungen und auch Johannes Düver hatte vermutlich nicht viele Gelegenheiten für das Niederlegen persönlicher Bekenntnisse oder künstlerische Aktivitäten. Erst nach Feierabend konnte ein Arbeiter derartigen Privatvergnügen nachgehen – und so kam es zur Bezeichnung „Feierabendziegel“.
„Die Bandbreite der Motive ist groß“, weiß Björn Thomann. Zum einen finden sich figürliche und symbolische Darstellungen, die nicht selten den Zweck erfüllen sollten, das einzudeckende Gebäude vor Unheil zu schützen. Zum anderen hinterließen die Handwerker eine Vielzahl an schriftlichen Botschaften.“ Beispielsweise dienten die Ziegelrohlinge als profane Schreibunterlagen für Rechnungen und geschäftliche Notizen. Darüber hinaus wurden aber auch Sprüche und persönliche Botschaften in den weichen Ton geritzt. So wie bei dem betreffenden Exemplar. In akkurater Schreibschrift ist hier zu lesen:
„1898
Joh. Düver
Dachdecker aus Ülzen
hat verlobt
im Juni 1898
M. Burmester
J. Düver
Himbergen * Ülzen“
Die Verlobte von Johannes Düver stammte also aus Himbergen. Ihr Schicksal liegt ansonsten allerdings im Dunkeln. Hier möchte Björn Thomann ansetzen. „Wir werden versuchen, auch über Fräulein Burmester Informationen zusammenzutragen“, hat er sich vorgenommen. „Vielleicht können wir ja einen Teil der Familiengeschichte ergründen.“
Christine Kohnke-Löbert