Epizentrum der deutschen Trad-Szene
„Wir sind jetzt das volljährige Kind!“ Moderator Matthias Branschke konstatierte – zur eigenen Verwunderung ebenso wie der der treuen Gäste –, dass das Klangrauschfestival an diesem Wochenende bereits zum 18. Mal im Museumsdorf Hösseringen stattgefunden hat. Es ist kaum zu glauben, dass nun schon seit 2006 jedes Jahr aufs Neue Musiker aus ganz Europa in die Lüneburger Heide kommen, um hier gemeinsam zu musizieren, zu tanzen, voneinander zu lernen und Inspiration mitzunehmen. „Hösseringen ist das Epizentrum für die deutsche Trad-Szene“, sagte Organisatorin Merit Zloch, die sich freute, dass diesmal Musiker aus England, Polen, Österreich, Schweden, Dänemark und natürlich aus allen Ecken Deutschlands gekommen waren. Ein Wochenende lang bevölkerten kleine Zelte das Freigelände des Museumsdorfes und überall in den Häusern und unter Bäumen erklangen bekannte und neue Melodien, oft gespielt auf Instrumenten, die dem unbedarften Besucher ein wenig sonderbar erscheinen mögen. So auch am Samstagabend, wenn zum traditionellen Konzertabend mit anschließendem Tanzvergnügen geladen ist. Diesmal war es vielleicht die Tagelharpa, die die Gäste am meisten zum Staunen brachte. Christian Mohr Levisen ließ auf dem so unscheinbar wirkenden Instrument im Duett mit Olle Gälmo einen alten schwedischen Walzer erklingen, gefolgt von norwegischen Weisen. Und kein Zuhörer hätte gemerkt, dass die Beiden vor Konzertbeginn gerade einmal „fünf Minuten zusammengespielt“ hatten, wenn sie es nicht verraten hätten.
Zum Auftakt spielte das Duo TradTöchter. Vivien Zeller und Ursula Suchanek ließen mit ihrem „lustigen Schleifer“ Tanzlust aufkommen und gewährten einen kleinen Einblick in die Seele des schwäbischen Volksliedes: „Die Jungen zeigten dunkles Begehren und die Mädchen juchzten dazu“.
Anschließend trug Olle Gälmo aus Schweden die alte Geschichte vom Bärenjäger vor. Doch weder Musiker noch Dudelsack konnten Nachricht geben, ob dieser je einen Bären getötet hat. Gut kannten sich die meisten Zuhörer dagegen mit dem kleinen plattdeutschen Lied von Jörg Fröse aus, der mit der Ziehharmonika für Stimmung sorgte. Die Geschichte vom kleinen Hasen, der versucht, das Tanzen zu lernen, geht zwar nicht gut aus, gehört aber quasi zum norddeutschen Schulwissen und so begleiteten etliche Stimmen aus den hinteren Reihen der großen Brümmerhof-Diele den Friesländer Barden auf der Bühne.
Aus Tübingen angereist waren Björn Kaidel und Regina Kunkel, die ihre Zuhörer als Duo Aklea verzauberten. Mit Waldzither und Nykelharpa trugen sie eigene Stücke vor. „Manchmal hat man das Gefühl, ein Stück ist schon da, man muss es nur nehmen“, umschrieb Regina Kunkel den Entstehungsprozess.
Milena Hoge spielte auf der Harfe Weisen aus Georgien und Lettland und zeigte im Duett mit Charlotte Daun die ungewöhnlichsten Seiten der Harfenmusik. Neben den „Klangrausch-Urgesteinen“ Hermann Hartel und Simon Wascher waren mit Pabameto alias Pay Bandik und Melf Torge Nonn neue Gesichter auf der Brümmerhof-Bühne zu hören. Mit Kontrabass und Klarinette, Gitarre und Querflöte erzählten die Brüder vom Frühlingsanfang und vom „Verknalltsein“.
Es war wieder ein wunderbar abwechslungsreicher und stimmungsvoller Abend, der Lust auf das „Zwanzigjährige“ macht. Der Termin dafür steht längst: Auch im Juni 2026 wird im Museumsdorf Hösseringen „das immaterielle Kulturgut alte Musik“ gefeiert, wie Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm ankündigte.
Christine Kohnke-Löbert