Dörfliche Entwicklung im Wandel
Fünf Jahre hat Anke Habenicht für ihre Dissertation geforscht, in Archiven gestöbert, alte Zeitungen ausgewertet und Akten gewälzt. Nun legt sie die umfangreiche Dokumentation „Dörfliche Gesellschaft im Wandel. Das alte Amt Fallersleben im Kaiserreich (1871-1914)“ vor. Das Buch erscheint in der Schriftenreihe des Museumsdorfes Hösseringen. Es ist bereits die 20. Publikation in dieser Reihe. Detailliert untersucht wurden 17 zum ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg gehörige Bauerndörfer in der Nähe von Wolfsburg. Im Fallersleber Umland sowie dem Hasenwinkel vollzieht die Autorin die Entwicklung der Dorfgesellschaft im Deutschen Kaiserreich nach, einer Zeit, die den Menschen einen tiefgreifenden Wandlungsprozess mit vielfältigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen brachte.
Die Erforschung dieser Region ist Anke Habenicht ein besonderes Anliegen, denn sie ist hier zuhause. „Unsere Familie ist in den untersuchten Dörfern seit Jahrhunderten ansässig“, erzählt sie. „Meine Großmutter war Jahrgang 1909 und hat mir als Kind oft von früher erzählt. So ist mein Interesse entstanden.“ Habenichts Ururgroßvater war zum Beispiel – auch ein Ergebnis ihrer Forschung – Mitglied im ersten Verwaltungsrat der Zuckerfabrik Fallersleben. Deren Gründungsinitiative untersuchte die Autorin ebenso wie die der Nachbarwerke. Daneben stellen die Genese und der Besuch von Privat- und Fachschulen einen Untersuchungsgegenstand dar. Und es geht um die lokalpolitische Mitbestimmung sowie die landwirtschaftlichen Lokalvereine, deren übergeordnete Ebene der Provinzialverein in Uelzen war. Grundsätzlich stellte Habenicht bei ihren Forschungen immer wieder fest, dass das, was die Alten weitererzählten, in vielen Belangen genau das widerspiegelte, was in ihrer Zeit als bedeutsam herausstach. „Was den Menschen in Erinnerung geblieben ist, war nicht nur für den Einzelnen relevant“, resümiert sie. Aus dem Kleinteiligen, wie etwa persönlichen Lebensläufen und dörflichen Strukturen, richtet die Autorin den Blick auf überregionale Entwicklungen, deren Auswirkungen bis heute von Bedeutung sind. „Die Höfe, die nach der Agrarreform groß geworden sind, existieren teilweise noch immer“, so Habenicht.
Neben dem Aktenbestand des Museums wertete sie u. a. Überlieferungen der Gifhorner „Aller-Zeitung“, der Nordzucker AG und der Archive des Landkreises Gifhorn, der Stadt Helmstedt sowie der Georgsanstalt Ebstorf aus, wo sich ganz zum Schluss, als der Druck des Buches schon in Vorbereitung war, völlig unerwartet noch interessante Fotos aus die Hinterlassenschaft des Provinzialvereins fanden. Mit dem Museumsdorf Hösseringen fand die Wissenschaftlerin den passenden Partner für die Veröffentlichung des umfangreichen Projektes. „Das Buch passt in die Region und die Thematik des Museums. Die Entwicklung der ländlichen Gesellschaft zur Zeit des Kaiserreiches ist bislang wenig erforscht. Wir freuen uns, dass wir damit wieder eine Wissenslücke füllen können“, fasst es Museumsleiter Dr. Ulrich Brohm zusammen. Zielgruppen sind unter anderem Agrar-, Sozial- und Landeshistoriker sowie Interessierte an der niedersächsischen Heimatgeschichte.
Die reich bebilderte und mit zahlreichen Grafiken und Tabellen ausgestattete Studie umfasst 512 Seiten. Sie ist erhältlich im Museumsdorf Hösseringen sowie im Buchhandel. Die Drucklegung wurde von der Landschaft des vormaligen Fürstentums Lüneburg sowie der Sparkassenstiftung Gifhorn-Wolfsburg für Kultur und Soziales gefördert.
Christine Kohnke-Löbert