Schaurig ist es in der Heide
„Wo liegt Elenor vom Schicksal eingewiegt?“ Gedanken, so düster wie das Echo aus dem Grab bedrängen den Erzähler. Trauert er doch um seine Geliebte und nichts kann ihm Linderung verschaffen. Da klopft es an der Tür und in die abendliche Ruhe des Kötnerhauses flattert der Rabe Nimmermehr. Es ist die Zeit, in der im Museumsdorf Hösseringen normalerweise die Türen und Tore verschlossen werden. Doch an diesem Abend kehrt nicht die gewohnte Ruhe ein, denn der Rabe Nimmermehr alias Schauspieler Markus Veith, nimmt seine Gäste mit auf einen rabenschwarzen literarischen Spaziergang durch das Museumsdorf. Den Auftakt bildet Edgar Allan Poes düsteres Gedicht „Der Rabe“. Und als solcher macht sich Veith mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern auf den Weg, nicht ohne zuvor ein paar Verwandte wie etwa Hugin und Munin, die Begleiter des Göttervaters Odin, vorzustellen.
Es folgen die Porträts einiger besonders fantasievoller Delinquenten wie zum Beispiel Boris, der es liebte, Menschen Schrauben in den Hals zu drehen. Bram Stoker gibt sich ein Stelldichein mit Mary Shelley und unter der Eiche heult der Werwolf den Mond im Akkusativ an. Und wer noch nicht wusste, dass man einen Untoten verkehrt herum ins Grab legen muss, ist nun schlauer. Zur Sicherheit sollte man der Leiche noch schwere Steine auf den Leib legen und alle Körperöffnungen zunähen. Damit das mit dem Blutsaugen ein Ende hat. Zwischendurch heißt es immer wieder „Lasst uns ein Stückchen weitergehen“ und an den verschiedensten Plätzen des Museumsdorfes entfaltet sich ein Reigen in schöne Worte gegossener Abgründe. Über Hund und Katze, Philosophie und Theologie und die haarlosen Affen, die die Welt regieren, hangelt sich Veith gruselig-humorig durch die dunklen Tiefen menschlicher Fantasie. Das Konzept kommt an, gleich zweimal folgt ihm an diesem Abend eine große Gruppe interessierter Zuhörerinnen und Zuhörer. Die wenigsten von ihnen haben bei ihren bisherigen Museumsbesuchen die einsame Grabstelle am Ufer des Dorfteiches bemerkt. Ja, schaurig ist es in der Heide.
Neben Annette von Droste-Hülshoff kommt auch Wilhelm Busch zu Wort, der nicht verneinen kann, dass es Geister gibt. Davon gibt es künftig vielleicht mehr zu hören, denn Markus Veith hat noch einiges vor. So einen Wilhelm-Busch-Spaziergang, gefolgt von einem Shakespeare-Programm im nächsten Jahr. „Mir macht es viel Spaß und das Museumsdorf ist die beste Kulisse, die man sich denken kann“, fasst er zusammen.
Christine Kohnke-Löbert