Vielfalt bewahren und Wissen weitergeben
„Noch vor etwa 100 Jahren gab es zwei- bis dreitausend Apfelsorten in Deutschland. Diese Zahl war in den vergangenen Jahrzehnten leider rapide rückläufig.“ Apfelexpertin Eva-Maria Heller zieht in ihrem Rückblick zur Geschichte alter Obstsorten eine ernüchternde Bilanz. Im Kontext dieser Entwicklung habe sich nicht nur die Sortenvielfalt stark verringert, sondern es seien auch wichtige Eigenschaften verschiedener Apfelsorten wie Aroma und Haltbarkeit, die Resistenz gegen Schädlinge sowie die Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaschwankungen erheblich reduziert worden. „Deshalb ist es gut, wenn sich Institutionen wie das Museumsdorf Hösseringen dem Erhalt alter Ostsorten widmen und das Wissen darüber weitergeben“, so die Pomologin (Apfelkundlerin). Eva-Maria Heller war am Sonntag im Museumsdorf zu Gast, um für interessierte Gästen mitgebrachte Äpfel zu bestimmen und mit Ratschlägen und Tipps in Sachen Obstbau weiterzuhelfen – und der Seminarraum war voll von Menschen mit Körben und Taschen und dem Duft frisch gepflückten Obstes. In einer kleinen Ausstellung hatte die Apfelexpertin eine ganze Reihe alter Obstsorten präsentiert. „Das eingelagerte Obst musste früher von August bis zum Mai des Folgejahres reichen, denn noch vor 200 Jahren lebten die meisten Menschen als Selbstversorger. Einkaufen war teuer und das Angebot begrenzt“, so Heller. Deshalb galt es, beim Anbau auf bestimmte Eigenschaften, wie Haltbarkeit oder auch die Möglichkeit, das Obst zu dörren, zu achten. So entstanden im 19. Jahrhundert in unserer Region viele neue Apfelsorten. Der Uelzer Rambour gehört dazu oder auch der Celler Dickstiel. Eine besondere Geschichte ist mit dem Kaiser-Wilhelm-Apfel, der noch vor etwa 50 Jahren in fast jedem Hausgarten in der Region zu finden war, verknüpft. Um 1870 war einem Dorfschullehrer ein Apfel aufgefallen, der nicht nur tiefrot und schön anzusehen war, sondern auch mit seinem Geschmack überzeugte. Deshalb habe der Lehrer ein Päckchen an den Kaiser in Berlin geschickt und darum gebeten, die Apfelsorte „Kaiser Wilhelm“ nennen zu dürfen. Dieser war einverstanden und bat um drei Bäume für die königliche Baumschule.
Auch als Fruchtbarkeitssymbol waren Äpfel früher beliebt, Namen wie der Altmärker Brautapfel oder der Halberstäder Jungfernapfel zeugen davon.
Heute haben es die Obstbauern der Region oft schwer, ihre Ernte in den örtlichen Supermärkten zu vermarkten. Die Konkurrenz günstiger Ware aus aller Welt ist groß und die Transportkosten sowie die damit verbundene Umweltbelastung scheinen eine nur geringe Rolle zu spielen. Dabei sind die Folgen der Klimaveränderungen längst spürbar – auch an den Früchten. Die rote Sternrenette beispielsweise lag früher gerne auf dem Nikolausteller, heute ist die Haltbarkeit der Früchte oft deutlich geringer. Angesichts des Klimawandels empfahl Eva-Maria Heller ihren Zuhörern zudem, bei der Neupflanzung von Obstbäumen Hochstämme zu bevorzugen. „Diese wurzeln so tief, dass sie besser an das Grundwasser kommen“, so Heller.