Eine Zeit voller Umbrüche
Buch zur Agrarreform liegt neu in unserer Schriftenreihe vor
Autor Wilhelm Westermann |
Hätte Wilhelm Westermann vorher gewusst, welchen Umfang sein Vorhaben schließlich annehmen sollte, hätte er vermutlich die Hände davon gelassen. Gut, dass es nicht so war! Denn nun hat der Buchholzer Autor ein Standardwerk vorgelegt: „Die Agrarreformen im Fürstentum Lüneburg. Ursprünge und Grundlagen – Durchführung und Auswirkungen, dargestellt am Beispiel des Kirchspiels Barum, Kreis Uelzen“ heißt das in der Schriftenreihe des Museumsdorfes Hösseringen und vom PD-Verlag Heidenau herausgegebene Buch, das nun im Buchhandel und im Museumsdorf Hösseringen erhältlich ist.
Ochsengespann des Hofes Nr. 1
in Tätendorf beim Pflügen.
Foto Ludwig Mundschenk um 1920,
Sammlung Mundschenk, Kreismedienzentrum Uelzen
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Wilhelm Westermann wuchs als Bauernsohn im Landkreis Uelzen auf. Als Stipendiat der Lüneburgischen Landschaft, heute Landschaft des vormaligen Fürstentums Lüneburg, kam er schon als junger Mann mit der Geschichte seiner Heimat und insbesondere mit dem Thema der Agrarreformen, die die Landwirtschaft im 19. Jahrhundert umfassend veränderte, in Berührung. Dank dieses Stipendiums konnte er ein Studium der Volkswirtschaft absolvieren, später arbeitete er als Wirtschaftsprüfer. Nach dem Fall der Mauer brachte er seine Fachkenntnisse auch in den neuen Bundesländern ein, wo er im Auftrage der Treuhand Sanierungskonzepte prüfte sowie Vermögensangelegenheiten bearbeitete.
Karte des Amtes Ebstorf um 1600.
Bis 1831 gehörte das Kirchspiel Barum zum Amt Ebstorf.
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Dieser berufliche Hintergrund ermöglichte Wilhelm Westermann einen besonderen Blick auf die historischen Akten, denen er sich über Jahre widmete.
In der Kate (Tätendorf Nr. 7) lebten 1821 außer der
Kötnerfamilie und ihrer Magd eine Knechtsfrau
mit zwei Kindern, insgesamt zwölf Personen.
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Der elterliche Hof in Tätendorf, den Wilhelm Westermanns Bruder weiterführte, durchlief in den Jahren 1844 – 1845 das Ablöse-Verfahren. Seit dem späten 18. Jahrhundert hatte im Kurfürstentum Hannover der Prozess der Agrarreformen begonnen. Entscheidend für deren Durchführung war zunächst die auch für andere deutsche Staaten wegweisende Gemeinheitsteilungsordnung für das Fürstentum Lüneburg von 1802, die den Bauern die Möglichkeit gab, die Allmenden, hier Gemeinheit genannt, aufzuteilen. Gleichzeitig konnten sie durch eine Flurbereinigung ihre Felder arrondieren, Feldwege anlegen und sich so eine wirtschaftliche Infrastruktur schaffen. Ab 1833 war es ihnen auch möglich, sich von den Feudalabgaben durch Geldzahlung zu befreien. Beide Reformvorhaben konnten durch die Grundherren nicht verhindert werden.
Getreideernte in Eppensen 1035.
Noch bis weit ins 20. Jahrhundert mähten Kleinbauern das Getreide
wie in alten Zeiten mit der Sense.
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Die alten Verhältnisse hatten die Entwicklung der Landwirtschaft stark gebremst – nun konnten die Bauern frei über ihre Höfe verfügen und es setzte ein wesentlicher Modernisierungsschub ein. „Bauernbefreiung“ wird dieser Prozess auch genannt, denn er beendete Jahrhunderte der Abhängigkeit und Unfreiheit. Doch wie konnte ein derart umfangreicher und langwährender Vorgang überhaupt abgewickelt werden?
„Ich hatte Erfahrungen als Wirtschaftsprüfer in den neuen Ländern, wo im Hauruck-Verfahren nach Schema F Grundstücks- und Vermögensangelegenheiten abgewickelt wurden, gesammelt. Das führte nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen“, erläutert Wilhelm Westermann, der sich nun fragte, wie man 200 Jahre zuvor die Riesenaufgabe der Agrarreformen bewältigt hatte. Also machte er sich auf den Weg ins Hauptstaatsarchiv Hannover, wo er etwa 500 verschiedene Akten durchsah. Außerdem hatte er u.a. Gelegenheit, drei private bäuerliche Archive sowie Akten aus dem Gutsarchiv von Hodenberg in Barum zu studieren. „Insgesamt habe ich fünf Jahre daran gesessen“, meint er, fast 100 Mal sei er allein im Hauptstaatsarchiv gewesen: „Mit meiner berufstypischen Gründlichkeit konnte ich eben erst aufhören, wenn ich alles wusste“. Dieser Hintergrund ließ ihn auch in der Auswertung der Unterlagen nicht im Stich. Ein Buch von 200 Seiten hatte Wilhelm Westermann geplant, nun sind es 460 geworden, die den Prozess der Agrarreform mit Schlaglicht auf eine kleine Region mitten im Herzen der Lüneburger Heide akribisch aufzeigen. Westermann schildert ausführlich das Verhalten der beteiligten Bauern, Beamten, Pastoren und Grundherren. Indem er die Untersuchung der Lebensverhältnisse der Landbevölkerung vor und nach den Reformen gegenüberstellt, führt er dem Leser die enorme Bedeutung der Veränderungen vor Augen. Gerade diese Intensität macht den besonderen Reiz des Buches aus. Sie lässt eine Zeit voller Unruhe und Umbrüche so nah und lebendig werden, wie es sonst selten der Fall ist.