Spitzbergen, Harlekin und mollige Putti
„Das ist ein selten schönes Motiv.“ Hin und wieder kommt auch Klaus-Dieter Müller ins Schwärmen. Zwar sieht der Kunstsachverständige nahezu täglich schöne – und vor allen antike – Dinge, aber beim Schätztag im Museumsdorf Hösseringen kommen immer wieder besondere Stücke zum Vorschein. So auch an diesem Samstag. Knapp 40 Gäste waren ins Freilichtmuseum gekommen, um Dachbodenfunde, Bilder, Erbstücke oder auch das Schmuckkästchen aus Familienbesitz schätzen zu lassen. Unter ihnen Familie Grünhagen, die eine Gemme mitgebracht hat. „Die Dame mit Wein und Weinlaub könnte die Erdgöttin symbolisieren“, überlegt Klaus-Dieter Müller. Ziemlich sicher ist er sich, dass das gute Stück aus Italien stammt. „Im 19. Jahrhundert war es unter Wohlhabenden üblich, eine ‚Grand Tour‘ zu unternehmen. Die Bildungsreise führte meist nach Italien, wo derartige Stücke gerne an die Reisenden verkauft wurden. Um 1870 gefertigt, lässt es die Antike lebendig werden.“ Die Grünhagens jedenfalls freuen sich, dass sie nun wieder ein wenig mehr wissen über das alte Familienerbstück, dass die Eltern aus der Danziger Gegend mitgebracht haben. „Jetzt haben wir mehr Klarheit. Herr Müller ist sehr kompetent und nimmt sich Zeit für jedes einzelne Stück“, fassen sie zusammen.
Michael und Eva aus Lüchow-Dannenberg erhalten den Rat, ihre Aquarelle von Gianfranco Missiaja einfach erst einmal zu behalten und abzuwarten. Der venezianische Künstler sei zwar recht bekannt für seine zarten Harlekin-Motive, habe es aber noch nicht in die großen Auktionen geschafft. „Warten Sie ein paar Jahre, vielleicht etabliert sich der Marktpreis. Am Tag der Retrospektive sollte man aber auf jeden Fall verkauft haben“, empfiehlt er den Beiden. Damit kann Michael gut leben. „Mein Vater leitete Studienreisen und brachte von seinen Reisen öfter schöne Stücke mit“, erzählt er. So auch ein Spitzbergen-Motiv, das „Oskar“ – bürgerlich Hans Bierbrauer – auf einer Hurtigruten-Reise gemalt und dem Vater geschenkt hat. „Wer sich noch an ‚Dalli-Dalli‘ erinnert, kennt Oskar vermutlich auch“, meint er. Dass ihre Gegenstände sie nicht reich machen werden, stört Michael und Eva nicht. Denn den Beiden geht es eher um den Erinnerungswert. Und der steckt ganz besonders in einer kleinen Kachel, die von Michaels Mutter stammt. „Das ist ein Geschenk von Mutters kleinem Bruder. Er war damals 15 Jahre alt und wollte ihr eine Freude machen, es gab ja kaum etwas. Zwei Jahre später war er tot, mit nur 17 Jahren ist er noch ein Opfer des Krieges geworden“, erzählen sie. Deshalb werde die Kachel immer einen besonderen Platz behalten.
Ein „Kuriosum“ hat Anne Utermark mitgebracht: einen Kerzenleuchter, der wohl von einem begabten Handwerker aus Einzelteilen verschiedener Zeiten zusammengesetzt worden ist. „Die Putti schauen nach unten, sie müssten also eigentlich in der Höhe angebracht gewesen sein“, stellt Klaus-Dieter Müller fest. Trotzdem sei das Stück schön und sehr gut verarbeitet. Und übrigens: kurios oder nicht – Anne Utermark mag ihre Engel. „In der Adventszeit stelle ich mir den Leuchter immer hin und habe meine Freude daran“, sagt sie. So soll es auch bleiben.
Christine Kohnke-Löbert
Schätztag
- Besucherin mit Kerzenleuchter
- Schätztag mit Gemälde
- Schätzobjekt
- Experte mit Besucher:innen